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Die persönliche Verantwortung für die Zukunft

Vier Scientists for Future aus Darmstadt berichten über ihr Engagement für den Klimaschutz

Von Rebecca Keller

„Wie gehen wir mit dem Wissen um die Klimaveränderungen und ihren Auswirkungen auf den Menschen um?“ Das fragte Pfarrer Dr. Raimund Wirth am letzten Abend der Reihe „Scientists for Future im Dialog“ am 19. Februar in der Darmstädter Pauluskirche. Was bedeutet es für die Wissenschaftler, die sich intensiv mit dem Klimawandel beschäftigen, dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wachsende Schwierigkeiten zu erwarten sind und sie sich mit einem auch bedrückenden Thema beschäftigen? Es gehe dabei nicht nur um heißere Sommer und mehr Extremwetterereignisse, sondern auch um eine sich zuspitzende Ernährungslage auf der Erde? Diese Fragen richtete der Gastgeber an die vier Wissenschaftler, die dem noch jungen Zusammenschluss „Scientists for Future“ angehören. Wie sind sie dazu gekommen, was ist ihre persönliche Motivation, sich gemeinsam mit anderen für den Klimaschutz zu engagieren?

Wissenschaftlicher Werdegang

Zunächst gaben die Gäste einen Einblick in ihren beruflichen Werdegang. Für Heike Böhler, Politikwissenschaftlerin, die an der Technischen Universität Darmstadt (TUD) zum Einfluss von Interessengruppen auf die Klimapolitik promoviert, ist der gesellschaftliche und politische Umgang mit dem Klimawandel das „spannendste Thema“, weil Hypothesen aus der Politikwissenschaft „hier nicht funktionieren“, wie sie sagt. Betroffene seien immer auch Verursacher, und die Hoffnung, alleine durch internationale Abkommen das Problem zu lösen, habe sich zerschlagen. Sie wolle ihren wissenschaftlichen Forscherdrang damit verbinden, in der Gesellschaft etwas zu bewegen. Ihr Interesse gilt dem Thema „Private Governance“, das heißt, wenn Verbände, Unternehmen und Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) neben dem Staat ihre eigenen Regeln und Steuerungsmechanismen zur Bekämpfung der Erderwärmung aufstellten, sie fragt auch danach, wie beides zusammenkommen könne. 

Dr. Hubert Meisinger, Umweltpfarrer der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), gab Einblick in seinen Werdegang, der davon geprägt gewesen sei, „Glaube und Wissen in eine konstruktive Verbindung zu bringen“. Es mache ihm Freude, eine „freundschaftliche Wechselwirkung von Naturwissenschaft und Theologie“ zu entdecken. Als Referent für Umweltfragen im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung (ZGV) der EKHN habe er jetzt mit ganz pragmatischen Fragen wie Bedingungen der Mobilität oder Fluglärm zu tun. Das entspreche seiner eigentlichen Neigung, dafür zu arbeiten, dass die Nächstenliebe konkret werde.

Umwelt- und Klimaschutz als persönliches Anliegen

Dr. Nicole Saenger ist Professorin für Wasserbau an der Hochschule Darmstadt (h_da). Für sie ist Wasser ein existentielles Thema, „weil es die Lebensgrundlage ist“. Während sie sich früher mit der Renaturierung von Flüssen beschäftigt hat, kam sie durch ihre Promotion an der TU Darmstadt zum „grünen Wasserbau“ und arbeitete hier interdisziplinär über den Austausch von Fließgewässern und Grundwasser. Nach einem Stipendium in den USA kam sie an die Hochschule Darmstadt, wo sie nun auch über den Schutz der Ressource Wasser lehrt und arbeitet.

Dr.-Ing. Sven Linow lehrt ebenfalls an der h_da. Schon früh in seiner Laufbahn habe er sich bei der Kartierung von Salzwiesen mit Vegetationsökologie beschäftigt, in seiner Promotion mit Verbrennungssystemen. Nach vielen Jahren in der Industrie kam der Physiker 2014 an die h_da, wo er auch Umwelttechnik lehrt, die er bis heute als einen Forschungsschwerpunkt ansieht. Sich für den Umweltschutz zu engagieren, ist für ihn nur folgerichtig: „Umwelttechnik ist aber nicht nur Energiewende“, stellt der Ingenieur fest, der seine Studierenden für das Thema gewinnen will. Dr. Hubert Meisinger berichtete von einem Schlüsselerlebnis auf einer Tagung 2006, wo ihm klargeworden sei: „Klima ist das Zukunftsthema“. Als Referent für Umweltfragen am ZGV widme er sich daher Querschnittsthemen, arbeite interdisziplinär an Fragen wie Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit. Die Kirche werde dazu auch gefragt, so Meisinger, der Mitglied ist im Bündnis für Nachhaltigkeit in Hessen und im Beirat Klimaschutz in Rheinland-Pfalz. Auch seine eigene Kirchenleitung berate er in diesen Fragen und pflege außerdem den interreligiösen Dialog zu Themen wie biologische Vielfalt.

Enttäuschung und neue Hoffnung

Heike Böhler berichtete von ihrer Hoffnung als Schülerin, dass es auch nach dem Kyoto-Protokoll wieder ein internationales Abkommen geben werde, mit dem die Staaten das Problem lösen würden. Doch vor rund zehn Jahren habe sie mit vielen anderen Wissenschaftlern den „Aha-Moment“ erlebt, wie sie schildert, dass dem nicht so sei: „Die Weltklima-Konferenz in Kopenhagen war eine Katastrophe.“ Keine Ergebnisse, kein Konsens, alle Hoffnung sei bei ihr zerfallen. In ihrer Forschung richtete sie fortan das Augenmerk auf neue Ansätze, weg von dem Blick allein auf den Staat. Nichtstaatliche Akteure, NGOs, Verbände, Wissenschaft und Kirchen bildeten ein „Mosaik vieler“, die etwas bewirken könnten. Für Dr. Nicole Saenger gaben ihre Kinder den Ausschlag, sich aktiv für den Klimaschutz zu engagieren: „Ich habe eine Verantwortung für die Zukunft meiner Kinder und Enkel“, sagt die Mutter zweier Söhne. In ihrer Forschung zu alternativen Energien auf dem Gebiet der Kleinwasserkraft sei sie „immer mehr zu einem ökologisch denkenden Menschen geworden“.

Vom Umgang mit einem belastenden Thema

Pfarrer Dr. Raimund Wirth wollte von den vier Vertreterinnen und Vertretern der „Scientists for Future“ auch wissen, wie sie persönlich mit der belastenden Situation des Klimawandels umgingen. Nicole Saenger sagte, sie bedrücke vor allem, dass viele das Thema verdrängten, und fordert, dass man sich dem Thema stellen solle, auch wenn man sich machtlos fühle. Durch gute Vorbilder könne man viel erreichen, jeder müsse seinen Beitrag leisten. Es müssten so viele Menschen wie möglich motiviert werden, „das geht nicht ohne Emotionen“, so Dr. Nicole Saenger. Heike Böhler sprach auch von Frust und Fragen, warum es nicht vorangehe: „Da sind 20.000 kluge Menschen bei einer Weltklimakonferenz, warum kriegen die das nicht hin?“ Alle Informationen lägen in den IPCC-Berichten vor, „warum werden sie nicht umgesetzt? Ihre Hoffnung setze sie auf „polyzentrische Steuerung“, wie es im Fachjargon heißt, auf „viele kleine Puzzlestücke“ des Engagements in Familie, Gemeinde, Quartier. Kleine Gruppen wie „Fridays for Future“, „Scientists for Future“ oder andere Klimainitiativen könnten viel bewegen. Wichtig sei, nicht allein zu sein.

Seine Enttäuschung, dass 2008 im Zuge der Wirtschaftskrise die Photovoltaikindustrie „an China verschenkt“ worden sei, äußerte Prof. Dr.-Ing. Sven Linow und erklärte dies mit „Gleichgültigkeit gegenüber dem Klimawandel“. Dasselbe drohe heute bei der Windkraftindustrie. In jedem Fall stehe für ihn fest, dass man nicht mehr so weitermachen könne wie bisher. Das wolle er seinen Studierenden vermitteln, dies müsse aber auch Politikern vermittelt werden, so Linow. Dr. Hubert Meisinger fragte danach, was geschehe, wenn Kipp-Punkte überschritten seien. „Das macht mir einerseits Angst, gibt mir aber auch gleichzeitig Hoffnung“, so der Theologe, weil es auch Kipp-Punkte bei Veränderungen zum Guten geben, wenn plötzlich etwas gelinge, was bis dahin unerreichbar erschien. Er unterschied in diesem Zusammenhang zwischen Futur und Adventum. Gegenüber dem sicher Kommenden (Futur) hege er die Hoffnung auf eine heilvolle, aber noch unbekannte Zukunft (Adventum). Jesus habe unterstrichen, dass den Kindern das Himmelreich, also auch die Zukunft gehöre. „Wir müssen kindlich, unvoreingenommen werden“, empfahl Dr. Hubert Meisinger. Das sei für ihn eine starke Motivation für sein Engagement. Aus seiner Sicht müsse die Wissenschaft beides im Blick haben: die gestaltbare Zukunft und die ungewisse Zukunft, die die Hoffnung birgt, dass sich das Leben weiterentwickelt. Heike Böhler unterstrich die Hoffnung auf soziale Kipp-Punkte: „Wer hätte geglaubt, dass ein Teenager mit einem Pappschild eine weltweite Bewegung auslösen kann?“ Eine Theorie besage, dass drei Prozent der Bevölkerung eine gesamtgesellschaftliche Transformation bewirken könne. Sie habe die Hoffnung, dass der Mensch auch die Klimakrise überlebe, da er schon andere Krisen überlebt habe.

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