Klimawandel: War wissen wir? Bericht und Downloads
Eine Frage der Gerechtigkeit
In der Darmstädter Pauluskirche bringen Wissenschaftler von „Scientists for Future“ ihre Forschungen zum Klimawandel in die Öffentlichkeit
Von Rebecca Keller
„Kirchen sind Orte des Dialogs, des Friedens und der Werte.“ So eröffnete Pfarrer Dr. Raimund Wirth den ersten Abend der Reihe „Scientists for Future im Dialog“ zum Klimawandel. In einer Kirche könnten zentrale gesellschaftliche Themen auf gute Weise besprochen werden. Gemeinsam mit dem Physiker Dr.-Ing. Sven Linow von den „Scientists for Future“, die es seit Juli in Darmstadt gibt, hat der Theologe die vierteilige Reihe konzipiert. Mitveranstalter sind die Erwachsenenbildung und die Stadtakademie im Evangelischen Dekanat Darmstadt-Stadt. Die „Scientists for Future“ wollen mit ihren Forschungsergebnissen die Forderungen der jungen Bewegung „Fridays for Future“ nach mehr Klimaschutz unterstützen und die wissenschaftlichen Daten noch stärker in die Öffentlichkeit bringen. „Wir müssen eine notwendige gesellschaftliche Debatte führen“, sagte Dr.-Ing. Sven Linow eingangs, „und wir müssen jetzt ins Handeln kommen.“
Frank Rüthrich zu Klimamodellen
Beim Auftakt ging es zunächst um den Stand der Forschung in Sachen Klimawandel. Vor knapp 200 Gästen referierte Dr. Frank Rüthrich, Wissenschaftler im Bereich Atmosphärenbeobachtung bei Eumetsat, über die Erhebung von Satellitendaten zur Wetterbestimmung. Je genauer die Messung des Ist-Zustandes, desto genauer die Wettervorhersage von bis zu zehn Tagen im Voraus. Das Klima anhand von Messdaten vorauszusagen, sei komplexer , da hier die Interaktion verschiedener Sphären berücksichtigt werden müssten. Als ein „Puzzleteil“ nannte er die Wärmebilanz der Sonneneinstrahlung, für die Faktoren wie die Reflexion in den Schichten der Atmosphäre eine Rolle spiele. Der Wärmehaushalt der Erde sei wissenschaftlich so gut verstanden, dass man den menschlichen Anteil der gegenwärtigen Erwärmung präzise bestimmen könne
Bereits 1982 hatte der Ölkonzern „Exxon Mobil“ mit einer Studie ein erstaunlich realistisches Szenario zum Temperaturanstieg infolge steigender CO2-Emissionen gezeichnet. Darin wurde in einer Hochrechnung für 2019 ein CO2-Gehalt von 415 ppm vorhergesagt, was nahezu exakt so eingetroffen sei und etwa einem Grad Temperaturanstieg entspreche, so Dr. Frank Rüthrich, der noch weitere frühere Studien mit tatsächlich eingetroffenen Berechnungen vorstellte und so um Vertrauen in Klimaprognosen warb.
Zur Arbeitsweise des Weltklimarats
Dr.-Ing. Sven Linow übernahm den Vortrag über den Weltklimarat für die Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin an der Technischen Universität Darmstadt (TUD), Heike Böhler, die erkrankt war. Die UNO-Organisation IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) stelle seit 1988 regelmäßig den Forschungsstand zum Klimawandel dar, der dann Politikern als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung stehe. 195 Staaten sind Mitglieder, tausende Wissenschaftler tragen in so genannten „working groups“ Daten für die IPCC-Berichte zusammen. Fünf Berichte sind seit 1990 erschienen, der sechste soll 2021/22 herauskommen. Die tatsächliche Entwicklung des CO2-Ausstoßes sei jeweils im oberen Bereich der Annahmen.
Was ist Klimagerechtigkeit?
Dorothea Schoppek, Politikwissenschaftlerin an der TUD, hielt einen leidenschaftlichen Vortrag über Klimagerechtigkeit. Ihre Eingangsthese: „Dem Klimawandel liegt ein Gerechtigkeitsproblem zugrunde.“ So sprach die Wissenschaftlerin über „systemische Ursachen und Folgen“ des Klimawandels und über die Frage, ob es einen grundlegenden Systemwandel brauche. Es gebe drei Aspekte der Ungerechtigkeit: wie stark Menschen und Länder von den Folgen des Klimawandels betroffen sind, wie viel Verantwortung sie für den Klimawandel tragen und welche Möglichkeiten zur CO2-Einsparung sie haben.
Dorothea Schoppek fragte, ob man angesichts extremer Wetterereignisse wie etwa Dürren und Stürme, Verwüstungen und Anstieg der Meeresspiegel global „im selben Boot sitze“ oder ob man nicht vielmehr vor einem „Titanic-Szenario“ stünde: Für manche gebe es Rettungsboote, weil sie sich schützen können, während andere untergingen.
Faktoren wie die geographische Lage, verfügbare Technologien, Geld und Macht spielten hier eine große Rolle. Während Länder wie Bangladesch dem steigenden Meeresspiegel nicht gewachsen seien, entwickelten Länder wie die Niederlande längst „ schwimmende Städte und Straßen“. „Länder können sich nur ungleich an den Klimawandel anpassen“, so Dorothea Schoppek. Ungerecht sei ebenfalls, dass die USA mit vergleichsweise wenigen Einwohnern von 327 Millionen für 25 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich seien, China mit 1,3 Milliarden Menschen für 12,7 Prozent und die EU mit 512 Millionen Einwohnern für 22 Prozent. Studien über Pro-Kopf-Emissionen belegten : je mehr Einkommen, desto höhere Emissionen. Konkret heiße das: Zehn Prozent der Reichsten verursachten 50 Prozent der CO2-Emissionen, während 50 Prozent der Ärmsten für zehn Prozent verantwortlich seien. „Die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, leiden am meisten“, so Dorothea Schoppek .
Lösungsansätze für eine gute Zukunft
Bei ihren Ausführungen zu Lösungsstrategien vertrat die Wissenschaftlerin, dass zuerst die „Treiber des Klimawandels“ erkannt werden müssten. Die kapitalistische Wirtschaftsform sei intrinsisch auf Wachstum aus, um Gewinne zu generieren. In der Vergangenheit sei Wachstum mit steigendem Ressourcenverbrauch verbunden gewesen. „Der Fokus muss auf gesellschaftliche Strukturen gerichtet werden“, forderte daher die Referentin. Fossile Ressourcen müsst en im Boden gelassen werden. Der Zugang zu Energie müsse in Form einer gerechten, bedürfnisorientierten Verteilungsstruktur demokratisiert werden.
Anschließend diskutierten die Referenten mit dem Publikum. Es wurde nach dem Umgang mit dem Umstand gefragt, dass „intelligente Menschen wissenschaftliche Ergebnisse anzweifelten “. Die Befragten bestätigten die Erfahrung, dass manche die Fakten „nicht wahrhaben“ wollten und daher durch Studien nicht erreicht werden könnten. Einige wollten auch das eigene Verhalten nicht verändern, weil sie ihre Identität im Konsum fänden. Dorothea Schoppek wies den aktuellen Protestbewegungen eine hohe Bedeutung im Prozess zu, den Klimawandel zu bekämpfen. „Sie bringen Schwung in die institutionalisierte Politik“, so Dorothea Schoppek, „hier darf nur die Puste nicht ausgehen.“ Bewegungen wie die durch Greta Thunberg angestoßenen „Fridays for Future“ seien wichtig für das Gelingen der nötigen Transformation, wie auch Lobbyarbeit oder präfiguratives Handeln, indem man sich im Kleinen und beispielhaft „eine Welt erschafft, die man sich wünscht“, wie etwa bei der „Solidarischen Landwirtschaft“. Es brauche ein „anderes gesellschaftliches und wirtschaftliches System“.
Downloads
Präsentation Dorothea Schoppek
Präsentation Dr. Frank Rüthrich
Download (pptx mit Animationen, 33 MB)
Liste mit Internetadressen und Literatur
Download (pdf, 300 KB)
Zusammenstellung der Infos: Sven Linow und Raimund Wirth
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